Nur Text alleine reicht nicht
Wenn ich in einem Seminar nach den Unternehmenswerten, der aktuellen Vision oder Mission fragen, schaue ich meist in erstaunte Gesichter mit gerunzelten Augenbrauen, und oft bekomme ich als Antwort: “Herr Irber, draußen im Gang hängt ein Poster, da finden Sie alles.”
Doch was ist der Sinn eines Visions-Posters, das oft für viel Geld mit einer Agentur entwickelt wurde, wenn die Mitarbeiter den Inhalt nicht kennen? Wie kann eine Vision erreicht werden, wenn die dafür täglich notwendigen strategischen Schritte nicht von allen gelebt, weil nicht verstanden werden?
Frage ich dann explizit nach Inhalten, wird oft etwas von “customer engagement”, “agility”, “business opportunities” und “competitive advantage” gemurmelt. Worte wie “team collaboration”, “feedback culture” und “innovation” dürfen ebenfalls nicht fehlen. Und ganz neu liegen “sustainability” und “diversity” mega im Trend.
Doch was bedeuten all diese gut klingenden Worte? Was heißt es für die einzelnen Mitarbeitenden im Unternehmen? Wie findet sie oder er sich in der Vision wieder? Was wird verlangt? Was verändert sich?

In all den Jahren habe ich keine Firma erlebt, die an der Formulierung einer Vision gescheitert wäre, aber ich habe viele gesehen, die mit der Umsetzung große Schwierigkeiten hatten. Doch warum?
Veränderung schafft Unsicherheit
Jede neue Vision bedeutet Veränderung. Veränderung heißt, irgendetwas im Unternehmen muss sich verändern, denn sonst würde alles so weiterlaufen wie bisher. Doch mit der Veränderung ist plötzlich die Zukunft ungewiss. Und Ungewissheit bzw. Unklarheit sind genau das, was unser Gehirn nicht mag. Wir wollen wissen, woran wir sind und was uns erwartet.
Bleibt die Ungewissheit, reagiert das Gehirn mit einem Verhalten, das Hillary Scarlett (1996) als Zustand der Furcht bezeichnet und im Verhalten genau das bewirkt, was man in einem Veränderungsprozess definitiv nicht haben möchte: Menschen werden ängstlich, unkreativ, zurückgezogen, unmotiviert, sind leicht gestresst und überfordert; als Folge verweigern sie sich der Veränderung.
Vereinfacht gesagt, es ist unser natürliches biologisches Verhalten, das Veränderungsprozesse so schwer umsetzbar macht.

Wie kann man die Unsicherheit vermeiden?
Sagen Sie offen und ehrlich, was die Mitarbeiter*innen erwartet. Zeigen Sie ihnen eine sichtbare Version der Vision und damit der Zukunft. Wo wollen wir hin, was ist der Weg dahin, was sind die Zwischenschritte, was wird von jedem abverlangt, was wird sich ändern?
Die Kommunikation des Wohin und des Warum ist die Aufgabe der Führungskräfte: Die zentrale Vision der Firma so zu übersetzen, dass allen im Team ein sicheres Gefühl gegeben wird, um den Zustand der “Furcht” zu verlassen und motiviert, kreativ und kooperativ an die Veränderung zu gehen.

Die Visions-Kommunikation in 5 Schritte zerlegen
1
Eine Geschichte für das Warum
Bauen Sie zuerst eine allgemein verständliche und inspirierende Geschichte zum Warum der Veränderung auf. Je plakativer die Geschichte ist, desto besser ist sie zu merken. Gerne wird eine Metapher verwendet, die aus abstrakten Inhalten einfache und für jeden erlebbare Bezüge herstellt.
Wir Menschen lieben Geschichten oder auf Neudeutsch “Narrative”. So haben wir seit Jahrtausenden Erfahrungen weitergegeben. Aber arbeiten Sie nicht mit Bedrohungen. Sie wollen inspirieren, nicht erschrecken.

2
Übersetzung bis auf die Team-Ebene
Für jedes Team muss das eigene Handeln im Firmenverbund klar herausgestellt und in Bezug zur Vision gesetzt werden. Was ist unsere Team-Mission und wie ist sie mit der Firmenmission verknüpft? Was müssen wir verbessern, um die Erreichung der Firmenvision zu unterstützen? Im Prinzip muss jedes Team seine eigene kleine Team-Vision und Team-Mission entwickeln, immer in Anlehnung an die große Vorgabe.
3
Mit einem Bild die Erinnerung stützen
Finden Sie eine Visualisierung, in der Schritt 1 bis 2 enthalten sind und für diese Inhalte stehen. Nutzen Sie die Visualisierung als permanent sichtbare Erinnerung an Schritt 1 und 2. Leben Sie das Bild in der Kommunikation und die Vision wird gelebt. Das ist meine Erfahrung.
Wir das Bild zusammen mit den Mitarbeiter*innen entwickelt, entsteht eine intensive Auseinandersetzung mit den eigentlichen Zielen und eine Synchronisierung unterschiedlicher Vorstellungen. Denn jetzt habe alle das gleiche Bild vor Augen.

4
Führungskräfte schulen
Schulen Sie die Führungskräfte in der Kaskadierung der Botschaft von oben nach unten. Dies wird immer unterschätzt und ist ein wesentlicher Grund dafür, dass eine Vision nicht umgesetzt wird. Nicht alle Führungskräfte sind hochtalentierte Experten in der inspirierenden Kommunikation. Viele brauchen Unterstützung und Hilfe.
5
Üben, üben, üben
Glauben Sie bitte nicht, dass dies selbstverständlich ist. Was nützt die beste Geschichte, die beste Visualisierung und Metapher, wenn Sie im Storytelling nicht überzeugen? Sie haben nur eine einzige Chance. Nutzen Sie diese. Halten Sie Ihren Vortrag vor Freunden oder der Familie und nehmen Sie sich die Kritik zu Herzen.
Abschluss

Vor kurzem habe ich einen schönen Spruch von dem berühmten Indianerhäuptling Sitting Bull (gest. 1890) gelesen:
Ein Mann ohne Ziel ist wie ein Pfeil ohne Spitze.
Das gilt auch für eine Firma. Und es reicht nicht, Pfeile mit Spitzen im Köcher zu haben, man muss auch damit schießen und das Ziel treffen können. Die Vision ist der Pfeil mit Spitze, wie man ihn zum Treffen des Ziels nutzt, ist Kommunikationsaufgabe der Führungskräfte.