Graphic Recording ist das visuell mit Zeichnungen unterstützte Protokollieren von Kernaussagen auf jeder Art von Veranstaltung. Es ist eine relativ junge Dienstleistung und erstellt visuell attraktive Großposter als illustriertes Protokoll. Die Bilder können analog auf Papier oder modern digital auf dem Tablet entstehen.
Aber aufgepasst: Mittlerweile hat sich der Begriff für jegliche Art der Illustration auf Events etabliert. Das ist für uns Dienstleister oft verwirrend und verlangt ein sehr genaues Nachfragen zu der eigentlichen Kundenerwartung.
Wo entstand Graphic Recording?
Graphic Recording kam in den 70ern aus den USA und entstand als Visualisierung auf Strategieworkshops. David Sibbet von “The Grove Consultants International” ist dabei immer eines meiner ganz großen Vorbilder gewesen.
In Deutschland führte es bis in die 90er ein Nischendasein und die Anzahl der Dienstleister war sehr überschaubar. Doch um 2010 herum trat es aus dem Schatten ins Licht der Presse und erlebt seitdem einen rasanten Aufstieg. Ein Artikel im Lufthansa-Bord-Magazin (7/2011) hatte in Deutschland wesentlich dazu beigetragen.
Als Graphic Recorder habe ich diese Zeit aktiv mitgestaltet und bis heute auf Hunderten von Veranstaltungen live gezeichnet. Das dabei angesammelte Wissen zu den allgemeinen Hintergründen habe ich hier zusammengestellt.
Was versucht Graphic Recording zu erreichen?
Vereinfacht gesagt, das sichtbarzu machen, was sonst so nicht sichtbar wäre: die Kernaussage z.B. eines Vortrags in einem visuell-attraktiven Bild. Und damit die Anwesenden nicht nur rational, sondern auch emotional anzusprechen, bzw. im Gehirn möglichst viele Synapsen zu aktivieren und die Erinnerung zu stärken.
Graphic Recording ist eine anspruchsvolle Kombination aus Kunst und Protokoll.
Wolfgang Irber
Eine Definition von Graphic Recording
Fall 1 : Vortrag ohne Graphic Recording
Stellen Sie sich vor, Sie hören den ganzen Tag auf einer Veranstaltung in München zu. Ohne etwas mitzuschreiben. Was bleibt nach zwei Wochen in Ihrer Erinnerung? Wahrscheinlich nicht viel, außer einer vagen Ahnung zu den Inhalten, und einer wahrscheinlich eher lebhaften Erinnerung an den gemeinsamen Abend im Hofbräuhaus mit dem Wunsch das Oktoberfest zu besuchen 🙂
Fall 2 : Vortrag mit Graphic Recording
Jetzt stellen Sie sich vor, Sie hören den ganzen Tag zu UND schreiben live die Kernaussagen und wichtige Originalzitate mit, fügen aussagekräftige Illustrationen hinzu, nutzen Farbe und Schrifttypen für die Gliederung, und gestalten ein optisch ansprechendes Poster, das später den Teilnehmern auch digital zur Verfügung gestellt wird und über das sich alle freuen. Genau das ist Graphic Recording. (Link zur Definition auf Wikipedia)
Ob auf Papier oder digital, ganze Tagungen, Workshops oder Vorträge lassen sich so auf illustrativ attraktive Großposter verdichten und für die nachhaltige Kommunikation optimal nutzen. Machen Sie das gleiche übrigens im Notizbuch für die persönliche Verwendung, heißt es auf neudeutsch Sketchnoting und ist gerade unglaublich modern. Vor allem Studenten profitieren davon.
Warum funktioniert Graphic Recording so gut?
Wir Menschen lieben Bilder, denn unser Gehirn denkt in Bildern
Die Bildverarbeitung unseres Gehirns ist für die Erkennung von Bildern optimiert. Und das seit Jahrmillionen. Bilder erkennen wir als Bilder und müssen sie nicht dekodieren. Buchstaben dagegen sind in der Menschheitsgeschichte eine ganz moderne Erfindung. Davor haben wir nur mit Bildern und Geschichten gelebt und kommuniziert. Eine Disziplin, in der auch Kinder immer noch die Meister sind, leider nur bis sie in die Schule kommen.
Graphic Recording, das sind Bilder, die Worte sichtbar werden lassen und Gedanken festhalten
Zwar sind auch Buchstaben oder ganze Worte einzelne Bilder, doch wir müssen sie der Reihe nach lesen, um aus Buchstaben oder Worten wieder einen Satz und damit ein Bild im Kopf zu formen. Anders gesagt: ein Bild wird von uns sofort als Bild erkannt, der Text muss von unserem Gehirn erst zu einem Bild übersetzt werden.
Die meisten von uns, können sich nur diese im Kopf generierten Bilder merken, nicht die einzelnen Worte. Stundenlange Wortfluten auf Veranstaltungen sind aus diesem Grund für die Mehrheit von uns nicht merkbar: zu abstrakt, um ein Bild zu generieren und damit den Weg dauerhaft ins Gedächtnis zu finden.
Wir bevorzugen eine Geschichte, um uns Inhalte besser merken zu können
Im einfachsten Fall von Graphic Recording wird mit der Verbindung von Bild + Text schon viel erreicht, und zwar durch
die starke Erinnerungskraft des Bildes
in Verbindung mit der Präzision des Wortes.
Wird zudem noch eine Geschichte erzählt (Storytelling), können selbst abstrakte Inhalte wie Visionen, Strategien oder Werte eine Bedeutung erlangen (fortgeschrittenes Graphic Recording). Die Geschichte ist Rahmen und Kontext und lässt sich leicht merken. Das ist die optimale Kombination aus dem Besten von drei Welten:
der visuellen Kraft des Bildes,
der Präzision des Wortes und
der emotionalen Verbindung mit einer Geschichte.
Die Geschichte kann entweder über den Aufbau einer ganzen Bildlandschaft entstehen oder aus vielen kleinen Einzelbildern in Form von Cartoons, meiner ganz persönlichen Spezialität. Mit dieser Dreierkombination werden die linke rationale und die rechte visuell-emotionale Gehirnhälfte angesprochen. Optimales Teamwork für unser Gehirn!
Wir brauchen einen leitenden Faden, um uns im Dschungel der Worte nicht zu verirren
Graphic Recording vereinfacht und ist der leitende Faden durch den Dschungel aus Worten. Wer kennt es nicht auf modernen Unternehmensevent der globalen Firmen: die Rede des Chefs, dann noch eine Rede, ein paar Workshops, eine Keynote, und noch eine Rede, eine Präsentation, ein Workshop. Dazu alles auf Englisch. Und dazwischen Pausen mit Gelegenheit zum Netzwerken und Plaudern.
Mit dem Ergebnis, am Ende weiß kaum jemand mehr, was genau gesagt worden ist. Vielleicht gibt es ein Protokoll, aber wer will schon alles trocken nachlesen? Ein gut gemachtes Graphic Recording ist dagegen eine visuelle unterstützte Kurzfassung des Tages:
Es ist der leitende Faden.
Es kondensiert auf die wichtigsten Aussagen, ist optisch gegliedert und unterhaltsam zu lesen, bietet den Überblick.
Es kombiniert die emotionale Erinnerung, die jeder ganz individuell immer noch in sich trägt und kombiniert sie mit originalen Zitaten und Fakten.
Bilder unterstützen die persönliche Erinnerung durch Anknüpfung an die eigenen Erlebnisse
Jeder hat seine persönliche Erinnerung an den Tag, aber es fehlt eine reduzierte Struktur, die Erinnerung anzuknüpfen. Genau diese Struktur ist das Graphic Recording. Einer der häufigsten Sätze, die ich immer höre: “Wenn ich Ihr Graphic Recording anschaue, kommen meine persönlichen Erinnerungen ebenfalls wieder ans Tageslicht und es ist, als ob der Event gerade gewesen wäre.”So kann jeder seine Erinnerung andocken, mit visuellen Elementen verknüpfen und immer wieder abrufen.
Graphic Recording funktioniert anders als ein klassisches Protokoll
Das graphische Protokoll ist anders, denn es erfüllt einen anderen Zweck. Das Graphic Recording hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es geht um Konzepte, Kernaussagen, den roten Faden, den Überblick, aber nicht um die Details in chronologischer Reihenfolge. Die sind in einem klassischen Protokoll besser aufgehoben. Bei wichtigen Veranstaltungen wird daher beides angefertigt.
Nur der Graphic Recorder hört wirklich den ganzen Tag zu
Mal ehrlich, wer kann schon auf Veranstaltungen immer präsent sein? Zumal es so viele Verlockungen gibt: den Nachbarn, das Buffet, das Smartphone. Der Graphic Recorder ist der bezahlte 100%-Zuhörer und das ist das ganze Geheimnis meiner Arbeit, also eigentlich nicht viel: zuhören, dann nachdenken, Kernaussage finden, den roten Faden nicht verlieren und nebenbei visualisieren. Als Graphic Recorder bin ich hochkonzentriert und nicht abgelenkt. Mehr ist es nicht. Aber wie bei allem im Leben: die Übung macht den Meister!