Diese Frage beschäftigt mich seit Beginn meiner Tätigkeit als Graphic Recorder. Etwas, das es so vorher nicht gab, ist plötzlich extrem gefragt. Und so sehr mich die momentane Entwicklung freut, und auch der allgemeine Trend zur Visualisierung, hat das so eine Zukunft oder muss es sich weiter entwickeln?
Die Situation heute
Ein klassischer Firmenevent besteht aus Technik, Catering, Fotograf, Moderator und seit ein paar Jahren auch aus dem Graphic Recorder. Für viele ist er immer noch neu, für viele schon altbekannt. Wenn mich Agenturen anrufen und ein Angebot für einen Event mit Graphic Recording abgeben wollen, weil sie etwas Neues und Kreatives anbieten wollen, runzle ich die Stirn. Der Zug hier kreativ und innovativ sein zu wollen ist – leider – abgefahren.
Einerseits hat das normale Graphic Recording durchaus seine Berechtigung, es erlaubt eine emotional ansprechende und auch gut aussehende Zusammenfassung des Tages. Es spricht Menschen an und das Sehen der Entstehung ist für viele extrem faszinierend. Als analoges Bild ist es ein angenehmes Gegengewicht zu digitalen Zeit. Das Graphic Recording ist immer ein Highlight und beliebtes Fotomotiv. Als Bild kann es später gut aufgehängt werden und ist ein schöner und gleichzeitig nachhaltiger Wandschmuck. Aber hat das eine langfristige Zukunft? In der Häufigkeit, wie es derzeit gebucht wird? In einer boomenden Wirtschaft spielt das Geld keine Rolle, aber wenn die Gürtel enger geschnallt werden müssen, wo wird dann wohl eingespart?
Für mich persönlich scheint der Peak des Graphic Recording erreicht. Es gibt unzählige Anbieter, die sich auf dem Markt tummeln oder immer noch auf den Markt drängen. Die Qualität der angebotenen Leistung ist extrem unterschiedlich. Es ist Zeit, das Graphic Recording für die Zukunft bereit zu machen und weiter zu entwickeln.

Wie kann das Morgen aussehen?
Die zentrale Frage ist immer: welchen Mehrwert bietet eine Dienstleistung für den Kunden, so dass er bereit ist, Geld dafür auszugeben?
Keine Wimmelbilder mehr
Bei meinen Auftraggebern merke ich einen eindeutigen Trend. Sie wollen zwar ein Bild, aber eines, das auch in Jahren immer noch gut lesbar ist, das man anschauen und verstehen kann, selbst wenn man nicht auf dem Event war, das einen Mehrwert in dem Sinne anbietet, dass es Information aufbereitet, strukturiert und verständlich kommuniziert. Ein Bild, das deutlich spricht, das das Auge führt. Sie wollen – wie ein Kunde sagte – um Himmelswillen kein Wimmelbild mehr!
Und hier kommt das Live-Graphic Recording naturgemäß an seine Grenze, das meist durch eine Wimmelbild-artige Unübersichtlichkeit gekennzeichnet ist. Ich nehme mich hier nicht aus. Wenn ich nicht weiß, was kommt, kann ich nicht planen. Der Reiz, simultan zum Geschehen zu zeichnen ist auch gleichzeitig das größte Problem nach dem Event.
Erst vor kurzem hatte ich einen potentiellen Kunden am Telefon, der meinte, er habe schon viele Graphic Recordings beauftragt, aber er suche jetzt eine Form der Visualisierung, die er auch auf weitere Events mitnehmen könne. Die Bilder müssen für sich selbst sprechen. Ein Bild, das drei Tage Event zusammenfasst, analysiert und auch transportiert. Graphic Recording vor Ort sei gut, aber es würde ihm nicht mehr reichen.

Strukturierte visuell gestützte Analyse oder Zusammenfassung
Und ich denke, er hat mir damit aus dem Herzen gesprochen. Was viele meiner Auftraggeber immer öfter wünschen ist eine analytische Reflektion der Inhalte, strukturiert und visuell attraktiv. Dazu muss der Event natürlich auch die Zeit zur Verfügung stellen.
Viele meiner letzten Aufträge bestanden aus analytischem Graphic Recording oder auch von mir einfach so jetzt genannt aus Analyzing Recording. Es war nicht mehr live: ich habe zugehört, Notizen gemacht, mit den Teilnehmern gesprochen und dann eine visuelle Auswertung erstellt, inklusive Vortrag. Das Bild hatte eine klare Struktur, die so ein Live-Bild nie erreichen kann. Das war zwar vorher mit dem Kunden so nicht abgesprochen, er hatte “normales” Graphic Recording gebucht, aber so hat es sich schnell als einzig sinnvolle Möglichkeit herauskristallisiert.

Analyzing Recording kurz erklärt
Für ein Bild dieser Art war ich nicht mehr nur der “Künstler, ich war der Beobachter und Berater. Ich habe gewichtet und bewertet, analysiert und visualisiert. Am Ende gab es ein Bild, das so viel mehr war, als NUR ein Graphic Recording. Es war eine visuelle gestützte Auswertung, die etwas sichtbar machte, was so vorher nicht sichtbar war. Das Feedback war bisher immer überwältigend und diese Art der Visualisierung ist – für mich – die Zukunft des Graphic Recording: Information zu sortieren, zu analysieren und visuell aufzubereiten.
Fast eine Art visuelle Beratung: Zuhören – Notieren – Sortieren – Auswerten – Visualisieren – Erklären – die Richtung weisen = Analyzing Recording
Ihr Wolfgang Irber